Im Bauch

der Tupolev

 

Die Anreise

Februar 2000

 Wir standen auf einem Flugfeld in Moskau und warteten. Das nächtliche Schneetreiben wurde immer dichter, und es war kalt. Zufrieden sah ich meinen Koffer im Bauch der Tupolev verschwinden. Es hatte viel Mühe und einige Rubel Schmiergeld gekostet, das schwere Gepäckstück mit meiner Kleidung, den Unterrichtsmaterialien und Büchern – Lesestoff für fast ein halbes Jahr in Sibirien – zu befördern. Hoffentlich werde ich auch abgeholt in Ulan-Ude, dachte ich, als wir nach schließlich einsteigen durften. Zusammen mit einer hilfsbereiten Burjatin schleppte ich mein Handgepäck die vereisten Stufen hinauf und schüttelte mir den Schnee einer halben Stunde Wartezeit im Freien vom Mantel. Ich hatte nur eine sehr ungenaue Vorstellung dessen, was in den nächsten Monaten auf mich zukommen würde. Ich war noch nie zuvor in Russland.

Das Innere des Flugzeugs bestätigt gleich ein Vorurteil: die Sitze sind schäbig und abgewetzt, und nach einem Blick in die Toilette wende ich mich schaudernd ab. Von irgendwoher kommt ein eiskalter Luftzug. So oder so ähnlich hatte ich mir die Reise vorgestellt. Ich schmunzle bereits ein wenig in mich hinein, als mich meine Sitznachbarin in tadellosem Deutsch anspricht: die erste, aber keineswegs die letzte Überraschung. „Ich freue mich über jede Gelegenheit, Deutsch zu reden “, lächelt die Geschäftsreisende aus Burjatien. Die Zeit vergeht im Flug. Gerne hätte ich aus der Luft einen ersten Blick auf den Baikal geworfen, aber es ist noch völlig dunkel. Das „Heilige Meer“ der Burjaten ist nicht zu sehen. Jetzt, Anfang Februar, ist es allerdings ohnehin von einer dicken Eisschicht bedeckt.

In Ulan-Ude begrüßen uns die ersten Sonnenstrahlen und 30 Grad unter Null. Willkommen in Sibirien! Aber die vielen Sonnentage und die Trockenheit der Luft täuschen über die Kälte ein wenig hinweg.
Im Flughafengebäude erwarten mich Anatoli Karpov, der Vorstand des Lehrstuhls für deutsche Sprache und Literatur und Katja, bei deren „Babuschka“ ich in den nächsten Monaten wohnen werde. Katja erinnert in ihrem taillierten Mantel mit Pelzkragen und ihrer Nerzkappe an „Anna Karenina“ oder „Doktor Schiwago“. Draußen im Wagen wartet der Chauffeur des Rektors, an end- und im Winter ein wenig trostlosen Datschavierteln vorbei fahren wir in die Stadt. Durchs Autofenster sehe ich zum ersten Mal den größten Leninkopf der Welt, der streng den Sowjetplatz überblickt. Man hat die kommunistischen Denkmäler und Statuen nicht beseitigt und auch die Straßennamen nicht geändert. Die UdSSR ist längst Geschichte, aber ihre Spuren sind allgegenwärtig.



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